Tanzkunst und Alter
Tanzkunst und Alter werden seit einigen Jahren immer selbstverständlicher miteinander in Verbindung gebracht. Das Verständnis, was eine Tänzer:in ausmacht, hat sich längst von traditionellen Vorstellungen über Jugendlichkeit, körperlich-akrobatische Leistungsfähigkeit oder die Beherrschung tänzerischer Techniken gelöst. Vielmehr stehen hier die ganz besonderen, im Laufe des Lebens entfalteten und einzigartigen tänzerischen Ausdrucksmöglichkeiten im Alter im Vordergrund.
Die Tanzarbeit mit älteren Menschen bricht radikal mit gängigen Sichtweisen auf Tänzer:innen, sehenswerte Körper und auf das Alter an sich – und eröffnet somit ganz neue künstlerische Perspektiven.
Ausdruck des gelebten Lebens
"Bei meiner mittlerweile 17-jährigen Erfahrung mit Tanzproduktionen für die Bühne bin ich immer wieder begeistert von der Arbeit mit älteren Tänzer:innen.
Sie haben aufgrund ihrer spezifischen Körperlichkeit und ihrer Lebenserfahrung ein einzigartiges tänzerisches Ausdruckspotential, das hoffentlich in Zukunft noch öfters zu sehen sein wird.
Egal ob es sich dabei um Profis oder um leidenschaftlich engagierte Freizeit-Tänzer:innen handelt: Die Freisetzung ihrer ganz speziellen Dynamik mit all ihren mitgebrachten Begabungen, dem Schwung, der Kraft, aber auch der Zerbrechlichkeit erfordert den gleichen intensiven Einsatz wie bei allen professionellen choreografisch/tänzerischen Prozessen."
Gabriele Gierz, Choreografin
Für eine Ästhetik des Zarten und vermeintlich Unscheinbaren
Die Tanzarbeit mit älteren Menschen geht über das Ausstellen von jungen, durchtrainierten Körpern, die mit akrobatischen Höchstleistungen brillieren können, weit hinaus. Hier sind andere, nicht minder spannende Formen von Virtuosität, Musikalität, Körper- und Raumwahrnehmung relevant, vor allem auch die Freude an Eigenwilligkeit mit Präzision und Präsenz. Wenn man sich vom Dogma des "Schneller-Höher-Wahnsinniger" verbschiedet, kann sich der Blick auf die Schönheit des Feinen ausrichten und man kann Details und Nuancen genießen.
Tanz im Alter ist politisch
Die Sichtbarkeit von älteren Menschen (in der Gesellschaft und auf der Bühne) beinhaltet eine philosophische und auch politische Dimension, die in unserer Gesellschaft auch im öffentlichen Diskurs immer mehr zutage tritt: Die Notwendigkeit, den Prozess des Alterns nicht vorwiegend defizitär zu verstehen oder als "Krankheit" zu sehen, sondern den Blick auf die Vorteile und Schätze des Alters zu richten.
Altern ist fester Bestandteil des Lebens, und damit auch des Tanzes
Denn Fakt ist: Jeder Mensch altert, ob er nun 6 Jahre oder 60 Jahre alt ist.
Das Altersbild ist im Wandel, westliche gesellschaftliche Narrative über Altern und über die "Wertigkeit" von Körpern verändern sich allmählich, aber auch subjektive Vorstellungen vom Wert des eigenen Alters und speziell über das Altern als Tänzer:in.
Und ja: Für dieses Thema braucht man Mut, denn es konfrontiert uns gnadenlos mit unserer Angst vor potenziellen Verlusten und der eigenen Sterblichkeit.